CAPs und Skalen in der Pflegediagnostik - kein Platz in der Praxis?
- carolesteiger
- vor 12 Stunden
- 3 Min. Lesezeit
Die Realität an vielen Weiterbildungen zum Pflegeprozess sieht so aus, dass die meisten Teilnehmenden die CAPs und Skalen nicht kennen. Einige können sich noch vage daran erinnern, sie im InterRAI HC/CMH Grundkurs behandelt zu haben. Doch kaum jemand wendet sie in der Praxis an. Die Analyse der Pflegedokumentation in fünf Organisationen zeigte, dass gerade mal aus 1.5% der ausgefüllten InterRAI-HC Assessments die daraus resultierenden CAPs weiterbearbeitet wurden. Weshalb ist das so?

Das muss man über CAPs wissen
CAPs (Clinical Assessment Protocols) sind standardisierte klinische Protokolle, die aus der Bedarfsabklärung mit dem interRAI HC (Home Care) oder dem interRAI CMH (Community Mental Health) resultieren (Spitex Schweiz, 2025). Die CAPs machen die Pflegefachperson auf spezifische klinische, funktionale, kognitive, psychische und soziale Probleme aufmerksam, die für eine klinische Intervention in Frage kommen (Morris et al., 2010). Sie sollen als Informationsquelle und Leitfaden einer personenzentrierten ganzheitlichen Pflegeplanung dienen (Morris et al., 2019). Die Anwendung kann entscheidend sein wenn es darum geht, die richtigen Pflegeinterventionen zu planen und kann so die Pflegequalität verbessern (Sinn et al., 2018). Die Entwicklung von CAPs ist empirisch belegt, indem sie unter Nachweis aus der Literatur, internationalen Best-Practice-Richtlinien und Informationen von Fachexpert*innen aus verschiedensten Teilen der Welt erfolgt ist (Morris et al., 2019).
CAPs werden aus dem InterRAI Assessment ausgelöst, wenn eine Verschlechterung in diesem Bereich wahrscheinlich ist oder wenn eine Verbesserung erreicht werden kann (Morris et al., 2019). Bei Personen in der häuslichen Pflege in Europa lösen dabei im Durchschnitt 5,5 von 25 CAPs aus (Morris et al., 2019).
Das sind Skalen
Die Skalen, welche ebenfalls algorithmisch aus den Kodierungen des inter RAI HC und CMH berechnet werden, bieten eine quantitative Einschätzung bestimmter Gesundheitszustände oder Risiken. Beispiele dafür sind die Depression Rating Scale (DRS), die Cognitive Performance Scale (CPS) oder die ADL-Hierarchie-Skala (Morris et al., 2019). Die Skalen sollen eine gemeinsame Sprache zwischen verschiedenen Pflegeinstitutionen (bspw.: Spitex und Pflegheim) schaffen und ermöglichen, dass Veränderungen im Gesundheitszustand einer Person über lange Zeit abzubilden.
Warum die Anwendung in der Praxis oft fehlt
Ein zentraler Grund für die geringe Anwendung liegt vermutlich darin, dass viele Organisationen die Bearbeitung der CAPs und Skalen nicht standardmässig in ihre Prozesse integriert haben. Wird nach dem Grundkurs nicht aktiv mit dem Instrument weitergearbeitet, geht das Wissen schnell verloren. Das hat zur Folge, dass der Nutzen in der Praxis kaum sichtbar wird und das Potenzial ungenutzt bleibt.
Die CAPs und Skalen sind in den auf dem Markt verwendeten Software unterschiedlich umgesetzt. Die Schulung in der Software muss nach respektive während einem Grundkurs innerbetrieblich erfolgen.
Zudem fehlt es vielerorts an Schulungsmaterialien, Best-Practice-Beispielen und institutioneller Unterstützung für die regelmässige Anwendung. Der Pflegealltag ist stark von Zeitdruck geprägt, was die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit komplexeren Instrumenten weiter senkt.
Integration in die Praxis
Die Einbindung von CAPs und Skalen in die alltägliche Pflegeplanung braucht eine klare Strategie:
Verankerung in der Dokumentationssoftware: Einige Spitex-Softwareanbieter haben die Zuordnungslisten bereits elektronisch implementiert (Spitex Schweiz, 2025).
Fortlaufende Schulung: Neben dem Grundkurs braucht es regelmässige Refresher-Kurse und pflegediagnostische Fallbesprechungen, in denen der Einsatz geübt wird.
Betriebskultur: Die CAPs müssen als Chance zur vertieften Auseinandersetzung mit dem Pflegebedarf der Klient:innen verstanden werden, nicht als zusätzlicher Aufwand.
Die interRAI CAPs und Skalen sind zentrale Instrumente zur Sicherung einer systematischen und professionellen Pflegeplanung. Ihr Potenzial wird jedoch oft nicht ausgeschöpft. Eine gezielte Integration in die Praxis und ein bewusster Umgang mit den erhobenen Daten können die Qualität in der Spitex nachhaltig verbessern. Es ist an der Zeit, das vorhandene Wissen zu nutzen und die Instrumente wieder in den Mittelpunkt der Pflegeplanung zu rücken.
Wir bieten verschiedene Schulungen zu diesem Thema an.
Inhouse Pflegeprozess in der Spitex (3 Tage)
Pflegeprozess in der Spitex für Pflegeteam (1/2-1 Tag)
E-Learning Pflegediagnosen in der Spitex
Pflegeprozess in der Spitex öffentlich ausgeschrieben (Spitex Verband, spitex-pflegeprozess.ch
Gerne beraten wir in einem Kennenlerngespräch, welche Schulung für euch aktuell am besten passt.

Carole Steiger
Pflegeexpertin MScN
Better Nursing GmbH
Literatur
Morris, J. N., Hawes, C., Henrard, J.-C., Hirdes, J. P., Ljunggren, G., Nonemaker, S., Steel, K., & Szczerbinska, K. (with Berg, K., Björkgren, M., Finne-Sov, U. H., Fries, B. E., Frijters, D., Gilgen, R., & Gray, L.). (2019). interRAI Clinical Assessment Protocols (CAPs) zur Verwendung mit den Assessment-Instrumenten für die Langzeitpflege (Version 9.1.3, deutschsprachige Ausgabe für die Schweiz). interRAI.
Sinn, C.-L. J., Betini, R. S. D., Wright, J., Eckler, L., Chang, B. W., Hogeveen, S., Turcotte, L., & Hirdes, J. P. (2018). Adverse Events in Home Care: Identifying and Responding with interRAI Scales and Clinical Assessment Protocols. Canadian Journal on Aging / La Revue Canadienne Du Vieillissement, 37(1), 60–69. https://doi.org/10.1017/S0714980817000538
Spitex Schweiz. (2025, April 15). interRAI CAPs und Pflegediagnosen nach NANDA-I. https://www.spitex-instrumente.ch/bedarfsabklaerung/zuordnungslisten-caps-nanda-i
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