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Pflegekomplexität in der häuslichen Pflege: Warum sie wichtig ist und wie sie eingeschätzt wird

Aktualisiert: 12. Nov.

In der häuslichen Pflege, der Spitex, steigt die Komplexität der Pflegesituationen stetig. Verursacht durch eine Vielzahl von medizinischen, sozialen und psychologischen, demografischen, aber auch finanziellen Faktoren.

Beispiele:

  • Kundin mit Messie Syndrom, der weder sein Bett noch die Dusche mehr nutzen kann

  • Kunde mit mehreren Erkrankungen, einer nicht zuheilenden Wunde, die alleine lebt und fremdsprachig ist

  • demenzkranker Kunde, der aggressiv reagiert und die Angehörigen sich überlastet äussern, jedoch die Finanzierung für einen stationären Aufenthalt nicht gegeben sind

  • Suchtkranker Kunde, bei dem die Spitex der einzige soziale Kontakt ist


Für Pflegefachpersonen stellt sich die Herausforderung, diese Komplexität zu erkennen und gezielt zu bewerten, um eine individuelle und bedarfsgerechte Pflege zu erbringen.


In diesem Blogbeitrag nehmen wir das Thema Komplexität unter die Lupe, grenzen es zum Wort "kompliziert" ab und zeigen auf, wie das COMID-Tool eine Unterstützung bei der Erkennung von komplexen Pflegesituationen ist.


kompliziert ist nicht gleich komplex

Ob etwas kompliziert oder komplex ist, ist nicht dasselbe.

Kompliziert ist etwas mit vielen Teilen oder Schritten, das man verstehen und lösen kann, wenn man sich genug anstrengt. Es ist anspruchsvoll, aber letztlich beherrschbar.


Beispiele komplizierter Pflegesituationen


  • Postoperative Wundversorgung: Eine Kundin, wird nach einer Operation zuhause von der Spitex beim Verbandswechsel unterstützt. Die Pflegefachperson folgt dabei einer Wundverordnung. Obwohl eine Infektion ein mögliches Risiko darstellt, ist der Ablauf vorhersehbar und gut zu planen.

  • Medikamentenmanagement bei Polypharmazie: Ein Kunde mit multiplen Erkrankungen benötigt täglich Unterstützung bei der Einnahme seiner 12 Medikamente. Die Pflegeperson überprüft den Medikationsplan, richtet die Medikamente danach und berät den Kunden über allfällige Wirkungen und Nebenwirkungen


komplex hingegen ist etwas mit vielen dynamischen, miteinander verknüpften Teilen, das sich ständig verändert und nur schwer voraussagbar ist. Man kann es nicht vollständig "lösen", sondern muss damit umgehen, lernen und sich anpassen.


Beispiele komplexer Pflegesituationen

  • Demenz mit unvorhersehbarem Verhalten: Ein älterer Kunde mit fortgeschrittener Demenz, der an Inkontinenz leidet und in der Mobilität stark eingeschränkt ist, benötigt Unterstützung der Spitex. Der Kunde hat oft Angstzustände und reagiert bei Überforderung aggressiv.


  • Palliative Pflege in belastendem sozialen Umfeld: Eine Kundin in der letzten Phase einer schweren Krankheit wird zuhause betreut, während die Angehörigen emotional überlastet sind und Konflikte untereinander bestehen. Der Gesundheitszustand ist instabil, Schmerzen und Atemnot sind teilweise unaushaltbar. Die Angehörigen drängen zu einem Spitalaufenthalt, während die Kundin zuhause sterben möchte.


Definition Komplexität


Die Weltgesundheitsorganisation definiert Komplexität folgendermassen:

«System, in dem so viele Teile miteinander interagieren, dass es schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, das Verhalten des Systems allein auf der Grundlage der Kenntnis seiner einzelnen Komponenten vorherzusagen.» (WHO, 2015)

Welche Teile sind das und wie zeigt sich das konkret in der Spitex?

In der Studie von Meier et al. (2024), die in der Schweiz mit acht Spitexorganisationen durchgeführt wurde, wurden folgende 6. Komplexitätsfaktoren für die häusliche Pflege zusammengefasst:


Warum ist die Bewertung der Komplexität der Pflegesituation wichtig?

Eine systematische Einschätzung der Komplexität von Pflegesituationen hilft bei der bedarfsgerechten Ressourcenverteilung, also dass die richtigen Personen, die richtigen Leistungen erbringen respektive erhalten. Es kann Pflegefachpersonen eine Unterstützung geben auf einer Meta-Ebene die Situation zu betrachten und die gefühlte Komplexität konkret einzuschätzen.

Es fördert zudem die Transparenz und verbessert die Kommunikation im Pflegeteam, mit den Angehörigen sowie auch mit den Versicherungen (Busnel et al., 2018).


Das COMID-Tool: Ein Instrument zur Messung der Pflegekomplexität

Um die Komplexität der Pflegesituation messbar zu machen, wurde das COMID-Tool in der Schweiz von der IMAD entwickelt. Es richtet sich an alle Patientinnen und Patienten und kann von Pflegefachpersonen, Advanced Practice Nurses, Ärzt:innen, Geriater:innen, Sozialarbeiter:innen und anderen Gesundheitsfachpersonen angewendet werden.


Das Tool besteht aus insgesamt 30 Fragen, aufgeteilt in sechs Dimensionen mit jeweils fünf Fragen, die sich auf unterschiedliche Aspekte der Komplexität in der Pflege beziehen. Diese Fragen können einfach mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden. Das Ausfüllen dauert circa 2-3 Minuten.

Das Ergebnis kann auf Wunsch mit Kommentaren ergänzt und anschliessend per E-Mail zugesendet werden. Eine anonyme Eingabe ist ebenfalls möglich. Die Daten werden nicht gespeichert.

Ein bericht mit Spinnendiagramm der Auswertung der Komplexitätseinschätzung
Auswertungsbericht COMID

Das COMID-Tool ist in der Schweiz, Frankreich, Belgien und Italien verbreitet.

Es ist ein wissenschaftlich validiertes Instrument in französischer (Vallet et al., 2019) und italienischer Sprache (Bonetti et al., 2023). Es ist auf deutsch verfügbar, aber nicht validiert.


Die Auswertung des COMID-Tool zeigt drei Abstufungen an:

  • Nicht komplex (< 5 Punkte)

  • Risiko für eine komplexe Situation (6-9 Punkte)

  • Komplex (>10 Punkte)


Laut einer Studie von Busnel et al. (2018) bewerten 91 % der Pflegefachpersonen das COMID-Tool als einfach zu verwenden, 97 % halten es für relevant und nützlich. Tatsächlich empfehlen 100 % der Befragten das Tool weiter.


Wo kann man es anwenden?

Die deutsche Version kann über folgendem Link direkt online ausgefüllt werden:

Die Anwendung ist kostenlos.


Bei wem soll das COMID-Tool angewendet werden?

Wir von Better Nursing empfehlen die Einschätzung gezielt anzuwenden. Also bei Kundinnen und Kunden, bei denen Schwierigkeiten aufgrund einer gefühlten Komplexität bestehen. Es kann zudem in Situationen angewendet werden, wo die Finanzierung der Leistungen nicht gesichert ist. Weiter ist es gut anwendbar im Rahmen einer Fallbesprechung oder als Vorbereitung und Grundlage für ein Rundtischgespräch.



Sie möchten das COMID-Tool in Ihrer Spitexorganisation einführen?

Sie haben ein anderes Thema im Bereich der Pflegequalität, dass die vorantreiben möchten?Gerne unterstützen wir Sie dabei.


Jennifer Kummli

Gründerin und Pflegeexpertin MScN


Better Nursing

Mobile Pflegeexpert:innen für die Spitex- und Langzeitpflege



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